„Ohne den Stadtentwicklungsplan wäre Wien heute nicht Wien, wie wir es kennen.“

© Stadt Wien / Gerd Götzenbrucker

Planungsdirektor Thomas Madreiter spricht im Interview über die Ziele des neuen Wien-Plans, die Erfolge der bisherigen Stadtentwicklungspläne und die Zukunft Wiens.

In den vergangenen Tagen wurde der Wien-Plan, der Stadtentwicklungsplan 2035, vom Wiener Gemeinderat beschlossen. Es ist der fünfte Plan dieser Art in der Geschichte der Stadt. Was ist – neben dem neuen Namen – das Besondere an diesem Stadtentwicklungsplan?

Im Zentrum des neuen Stadtentwicklungsplans stehen erstmals in fokussierter Form die Auswirkungen der Klimakrise auf unser alltägliches Leben. Der Wien-Plan ist daher ausdrücklich auch ein „Klima-Stadtentwicklungsplan“. Wie kein anderer Stadtentwicklungsplan zuvor rückt er die Themen Klimaschutz, Klimaanpassung, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft in den Mittelpunkt aller Vorhaben der Stadtplanung. Denn das übergeordnete Ziel, worauf wir mit dem Wien-Plan hinarbeiten, ist die Klimaneutralität bis 2040. Um das zu erreichen, werden die kommenden 10 Jahre entscheidend sein. Der Stadtentwicklungsplan zeigt daher eindrucksvoll, dass Wien nicht nur eine ungefähre Ahnung hat, was in der nahen und fernen Zukunft geschehen soll: Nein, diese Stadt hat einen umfassenden Plan für eine lebenswerte Zukunft. Deshalb auch der passende Name „Wien-Plan“.

Der Stadtentwicklungsplan war in Wien lange Zeit unter seinem Kürzel STEP bekannt. Der erste STEP erschien 1984, im letzten Jahr hat er sein 40. Jubiläum gefeiert. Wie haben die bisherigen STEPs die Stadt in diesen vier Jahrzehnten geprägt?

Der STEP hat sich seit 1984 als zentrales Instrument für die Stadtentwicklung etabliert und maßgeblich dazu beigetragen, Wien als lebenswerte und zukunftsfähige Stadt zu gestalten. Um sich das deutlicher vorstellen zu können, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Denken Sie an Wien im Jahr 1984. Wo heute das Sonnwendviertel und das Nordbahnviertel leistbaren Wohnraum und frei zugängliche Grünflächen bieten, waren früher Gleisfelder mit Güterzügen und Betriebsgebäuden der Bahn – mitten in der Stadt! Die Gründerzeitviertel innerhalb und außerhalb des Gürtels zeichneten sich bis in die 80er-Jahren vor allem durch ihre schlechten Wohnverhältnisse aus. Erst die sanfte Stadterneuerung hat diese Stadtteile zu attraktiven und belebten Grätzeln gemacht. Gerade in den letzten Wochen haben wir auch immer wieder Slogans gehört, die die Nostalgie füttern. „Früher war alles besser“, ist so ein Satz. Da wird natürlich der Blick in die Vergangenheit stark verklärt, denn wenn wir bspw. an das Wien aus den 1980er Jahre denken, war nicht unbedingt alles so viel besser. Wenn wir ehrlich zu uns sind, müssen wir uns eingestehen, dass sogar vieles schlechter war. Dass Wien in den vergangenen 40 Jahren eine so rasante Entwicklung hingelegt hat, ist auch dem STEP als strategischem Instrument zu verdanken. Ohne den STEP wäre Wien heute nicht Wien, wie wir es kennen.

Gibt es einen Meilenstein in der 40-jährigen Geschichte des STEPs, der Ihnen besonders wichtig ist? Worauf kann Wien – mit Blick auf den STEP – besonders stolz sein?

Ein Stadtentwicklungsplan wird ja nur alle 10 Jahre aktualisiert, weshalb in meinen Augen jede neue Auflage des STEP – oder eben nun der Beschluss des Wien-Plans – schon ein Meilenstein an sich ist. Schließlich zeigt uns jede neue Ausgabe, dass Wien es ernst meint. Seit vier Jahrzehnten wird geplant, umgesetzt und dann weitergeplant und nachgeschärft. Das ist es auch, worauf Wien meiner Meinung nach besonders stolz sein darf: Die vorausschauende und langfristige Planung in der Stadtentwicklung und namentlich im Stadtentwicklungsplan. Ich finde, dass das auch an der Stelle nochmal ganz klar und deutlich gesagt werden muss: Nicht jede Stadt hat einen Stadtentwicklungsplan. Eine Stadt ist natürlich auch immer historisch gewachsen. Aber dieses langfristige und auch langjährige Commitment, das ist schon etwas, was Wien sehr besonders macht.

Mit dem STEP 2005 werden erstmals sogenannte Zielgebiete eingeführt, die in den kommenden Jahren die Aufmerksamkeit der Stadtentwicklung besonders auf sich ziehen werden. Eines dieser Zielgebiete ist das Viertel Zwei. © Stadt Wien / Gerd Götzenbrucker

Sie haben es gesagt: Ein Stadtentwicklungsplan ist keine Selbstverständlichkeit, nicht alle Städte haben ein solch strategisches und langfristiges Planungsinstrument zur Hand. Wie ordnen Sie den Wiener Stadtentwicklungsplan im internationalen Vergleich ein?

Die Wiener Stadtentwicklung denkt in vergleichsweise langen Zeiträumen. Das ist gerade in unserer schnelllebigen Zeit etwas Außergewöhnliches. Während der Wien-Plan heute schon an das Jahr 2035 denkt, plant die Smart Klima City Strategie Wien die Dekarbonisierung bis 2040. Das erlaubt es uns, in Wien langfristige Entscheidungen zu treffen und frühzeitig auf große Herausforderungen wie die Klimakrise, eine alternde Gesellschaft oder das weltweite Wachstum der Städte zu reagieren. Nur so können wir diese Herausforderungen auch bewältigen. Ohne eine langfristige Perspektive wird Stadtentwicklung zu einer ganz anderen Herausforderung. Statt die Zukunft wie in Wien aktiv zu gestalten, kann die Stadtplanung dann höchstens noch auf Trends reagieren oder maximal kleinteilige „kosmetische“ Umgestaltungen vornehmen. Solche Umgestaltungen auf Grätzlebene sind mindestens genauso wichtig, aber es braucht eben beides: Das Große und das Kleine. Umso wichtiger, dass der Wien-Plan nun beschlossen ist und wir bereit für die nächsten 10 Jahre sind.

Strategien sind wichtig für die planerische Arbeit in der Stadtentwicklung. Was haben die Menschen in Wien konkret von Stadtentwicklungsplänen oder eben jetzt vom neuen Wien-Plan?

Der Stadtentwicklungsplan steht am Anfang vieler Errungenschaften, die an Wien so geschätzt werden: leistbarer Wohnraum, leicht zugänglicher Grünraum, zuverlässige Öffis, lebendige Zentren. Anders ausgedrückt, stellt er die einzigartige Lebensqualität in Wien sicher. Das war die Leistung der bislang erschienenen Stadtentwicklungspläne, der STEPs. Der neue Wien-Plan wird in den kommenden 10 Jahren die hohe Lebensqualität in Wien trotz der negativen Auswirkungen der Klimakrise auf unseren Alltag aufrechterhalten und sogar noch weiter steigern. Und er wird dafür sorgen, dass diese Stadt den Umgang mit der Klimakrise optimiert. Wien ist auch eine Smart City – hier greifen die zwei großen Strategiedokumente der Planung ineinander. Das heißt konkret: Wir sind gewappnet für das, was auf uns zukommt.

Die Gestaltung von Straßen hat direkte Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten ihrer Nutzer*innen. Die Argentinierstraße in Wieden ist ein Best-Practice-Beispiel für zukünftige Wiener Fahrradstraßen. © Stadt Wien / Gerd Götzenbrucker

Die Inhalte des Wien-Plans sollen in den kommenden 10 Jahren umgesetzt werden. Schauen wir ins Jahr 2035. Wie sieht das Wien der Zukunft Ihrer Meinung nach aus? Wien wird …

… im Großen und Ganzen wohl nicht viel anders aussehen als heute. Eine Veränderung wie sie zwischen 1984 und 2025 stattgefunden hat, werden wir in diesen 10 Jahren eher nicht sehen. Die Veränderungen werden stattdessen feinkörniger sein. Wenn Sie im Jahr 2035 durch Wien spazieren, werden Sie bemerken, dass der Motorisierungsgrad abgenommen hat und der öffentliche Raum weitgehend klimafit ist. Die städtischen Zentren abseits der Inneren Stadt werden belebter sein und die Wiener Straßen an vielen Stellen so aussehen wie heute schon die Praterstraße oder Argentinierstraße. Und weil es eben solche Straßen und Netze gibt, wo wir uns bequem und sicher zu Fuß oder mit dem Rad bewegen können, wird auch der Modal Split dies abbilden. Die Auswirkungen eines solchen Mobilitätsverhaltens bemerken wir nicht nur an einer noch besseren Luftqualität und einem geringen Lärmpegel, sondern auch an der Gesundheit der Wiener*innen. In 10 Jahren wird Wien auch schon größtenteils klimaneutral sein. Die Stadt wird bis 2035 an manchen Stellen nachverdichtet – etwa auf dem Areal des Nordwestbahnhofs – und der Grünraum sogar wachsen. Es wird auch in Zukunft ausreichend leistbaren Wohnraum geben, obwohl die Wiener Bevölkerung wächst. Vor allem aber wird deutlich zu sehen sein, dass sich Wien nach einem klaren Plan entwickelt hat. Ich persönlich habe die Hoffnung, dass die Aufregung und Unsicherheit ob der Zukunft, die wir derzeit mancherorts wahrnehmen, einem gesunden Vertrauen in die Stadt weichen.

© message.at

Am 23.4.2025 wurde der Stadtentwicklungsplan 2035 vom Wiener Gemeinderat beschlossen. Mit ihm wird das Bekenntnis zu leistbarem Wohnraum, einer guten öffentlichen Infrastruktur und Platz für die Wirtschaft erneuert.

Mehr über den Wien-Plan

 

Ein Blick in die Werkstatt – Interviewserie zum Wien-Plan

Stadtentwicklungsplan 2035: Ein Blick in die Werkstatt #1
Stadtentwicklungsplan 2035: Ein Blick in die Werkstatt #2
Stadtentwicklungsplan 2035: Ein Blick in die Werkstatt #3
Stadtentwicklungsplan 2035: Ein Blick in die Werkstatt #4
Stadtentwicklungsplan 2035: Ein Blick in die Werkstatt #5
Stadtentwicklungsplan 2035: Ein Blick in die Werkstatt #6
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Stadtentwicklungsplan 2035: Ein Blick in die Werkstatt #8
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