„Mit dem Wien-Plan haben wir jeden Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen”

© Stadt Wien / Reinhard Mandl

Im April 2025 wurde der Wien-Plan vom Gemeinderat beschlossen. Er ist der fünfte Stadtentwicklungsplan in der Geschichte Wiens. Die federführende Bearbeitung der Strategie lag in den Händen der Magistratsabteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung (MA 18). Abteilungsleiter Clemens Horak spricht im Interview über die Besonderheiten des ersten Klima-Stadtentwicklungsplans, das “Big Picture” und die Wünsche der Wiener*innen.

Nach mehrjähriger Bearbeitungszeit ist der Wien-Plan nun beschlossen. Was ändert sich jetzt für die Stadt und ihre Bewohner*innen?

© Stadt Wien / Gerd Götzenbrucker

Es ist nicht so, dass mit einem derartigen Beschluss ein Schalter umgelegt wird und die Stadt schlagartig eine andere ist. Stadtplanung ist eine Aufgabe, die Jahre, häufig Jahrzehnte, in die Zukunft schaut. Und genau dazu dient der Wien-Plan: Er steuert die räumliche Entwicklung Wiens bis zum Jahr 2035 – mit Auswirkungen darüber hinaus. In den letzten Jahren haben wir strategische Aussagen, Leitlinien, Kennwerte und Maßnahmen erarbeitet, die für die Stadtverwaltung mit dem Beschluss bindend sind – und für viele weitere Akteurinnen und Akteure eine bedeutende Richtschnur. Das heißt: Ab jetzt gilt der Wien-Plan mit all seinen Inhalten und in den nächsten Jahren werden diese in der Praxis ihre Wirkung entfalten. Städte entwickeln sich kontinuierlich weiter. Ein Stadtentwicklungsplan gibt dabei die Richtung vor, sorgt für ein stimmiges Gesamtbild und dass die vielen Projekte und Initiativen – der öffentlichen Hand aber auch von Privaten – auf die Ziele der Stadt ausgerichtet werden.

Dass die Stadt nicht schlagartig in eine völlig andere Richtung steuert, hängt natürlich auch damit zusammen, dass der Wien-Plan aus guten Gründen auf seinen Vorgängern aufbaut. In Wien wird seit langem kontinuierlich auf hohem Niveau, mit einem sehr weit in die Zukunft gerichtetem Blick Stadtplanung gemacht. Das hat auch dazu beigetragen, dass Wien diese lebenswerte Stadt geworden ist, die wir heute kennen. Viele Überlegungen und Festlegungen, die vor 10 Jahren gut waren, sind es weiterhin.

Worin unterscheidet sich der Wien-Plan besonders deutlich von früheren Stadtentwicklungsplänen?

Die Welt dreht sich weiter – wir sehen uns mit neuen Herausforderungen konfrontiert, aber auch neuen Prioritätensetzungen. Der Wien-Plan ist der erste „Klima-Stadtentwicklungsplan“. Klimaschutz, Klimaanpassung und Ressourcenschonung bzw. Kreislaufwirtschaft wurden ins Zentrum gerückt, der Umgang mit ihnen zieht sich wie ein roter Faden durch alle Themenfelder des Wien-Plans.

Über die Klimakrise hinaus haben auch die zahlreichen, teilweise einschneidenden Veränderungen und Verwerfungen der letzten Jahre viel Verunsicherung gebracht: die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energie- und Teuerungskrise, die Schritte hin zu einer völlig neuen politischen Weltordnung, die wir jeden Abend in den Nachrichten verfolgen können, – das sind Probleme, die eine Stadt nicht für sich genommen beheben kann. Aber sie kann in ihrem Wirkungsbereich bestmöglich Orientierung geben, wo die Reise hingeht. Das gibt Halt. Insbesondere wenn sie dabei ein klares Bekenntnis zu einer starken Daseinsvorsorge bekräftigt, wie das auch im Wien-Plan geschieht: Wien setzt ganz klar auf ausreichend sozialen Wohnbau, ein super Öffi-System, öffentliche Räume, die ein „cooles“ zweites Wohnzimmer für alle sind, oder den Erhalt der großen Grünräume am eigenen Stadtgebiet.

© Stadt Wien / Gerd Götzenbrucker

Neu für einen Stadtentwicklungsplan ist, wie tiefgehend wir uns mit der sozialen Infrastruktur im weiteren Sinn beschäftigt haben, also damit, wie Bildungs-, Jugend-, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, aber auch Sport-, Freizeit- und Kulturangebote in Stadtentwicklungsprozessen noch besser berücksichtigt werden können. In Zeiten einer alternden Gesellschaft kann die Bedeutung dieser Infrastrukturen gar nicht überschätzt werden.

Wenn man die Stadtentwicklungspläne seit 1984 nebeneinanderlegt, kann man eine Veränderung des „Produkts STEP“ rein optisch erkennen. Aber das ist sicherlich nicht die einzige Neuerung …?

Keinesfalls! Für mich stehen über dem Wien-Plan ja nicht nur inhaltlich „3 K“ – Klimaschutz, Klimaanpassung, Kreislauftwirtschaft –, sondern auch auf formaler Ebene: kompakt, konkret und kund*innenorientiert sollte er werden. Und ich denke, das ist uns gut gelungen. Wir haben zu Beginn nicht nur den STEP 2025, sondern auch sämtliche zugehörige „Fachkonzepte“ gescreent und die Themen und Inhalte dieser auch in den neuen Wien-Plan integriert. Das Ergebnis ist viel kompakter und damit auch für Kolleg*innen in der Verwaltung, aber beispielsweise auch Planer*innen in privaten Büros praktischer und übersichtlicher. Wir haben dabei aber darauf geachtet, dass normative Aussagen, Regelungen und Vorgaben keinesfalls unter den Tisch fallen. Es sind v.a. die Analysen und Ableitungen, die wir weniger umfassend darstellen. Für konkreter halte ich den Wien-Plan, weil wir gerade bei den normativen Festlegungen darauf geachtet haben „Tacheles“ zu reden – etwa bei neuen Richtwerten, wie jenen für Umgestaltungen öffentlicher Räume oder durch Nachschärfung und Klarstellungen etwa im Zusammenhang mit den Grünraum-Kennwerten. Wobei es natürlich weiterhin nicht der Zweck eines Stadtentwicklungsplans ist, alles bis ins letzte Detail zu regeln. Da gibt es sinnvollerweise mehrere Ebenen weiterer Instrumente dafür.

Inwiefern ist der Wien-Plan „kund*innenorientierter“? Wer sind die Kundinnen und Kunden eines Stadtentwicklungsplans?

Ein Stadtentwicklungsplan hat verschiedene Zielgruppen. Damit jede und jeder rasch das findet, was sie oder ihn interessiert, haben wir eine Zweiteilung vorgenommen: Zu Beginn werden für alle Themenfelder die strategischen Aussagen gebracht. Das ist das „Big Picture“, die „Reiseroute“. Insbesondere interessierte Bürgerinnen und Bürger, aber auch Journalistinnen oder Politiker können sich hier einen kompakten Überblick verschaffen, in welche Richtung es gehen wird.

Der zweite Teil umfasst einerseits Regelungen – Leitbilder, Kennzahlen, qualitative Standards etc. – und andererseits Maßnahmen – das, was die Stadt selbst konkret vorhat. Dieser Teil richtet sich stärker an die Expertinnen und Experten, diejenigen, die den Wien-Plan in ihrer täglichen Arbeit umsetzen – sei es in der Stadtverwaltung oder der Privatwirtschaft.

© Stadt Wien / Gerd Götzenbrucker

Wir haben bereits über den Wien-Plan als „Klima-Stadtentwicklungsplan“ gesprochen: Klimaschutz, Klimaanpassung und Kreislaufwirtschaft sind zentrale Querschnittsthemen. Gibt es noch weitere Themensetzungen, die herausstechen?

Ich würde da noch ein wenig beim Thema „Kreislaufwirtschaft“ bzw. „Ressourcenschonung“ bleiben wollen, denn aus Stadtplanungssicht verstecken sich dahinter Aspekte, die vielleicht nicht jeder und jedem ins Auge springen: Eine intelligente Stadtplanung trägt sehr umfassend zur Ressourcenschonung bei und das beginnt bei der Ressource ‚Boden‘! Der Wien-Plan stellt ein sehr klares Bekenntnis zu einer Form der Stadtentwicklung ab, die möglichst wenig Boden in Anspruch nimmt. Wie wollen wir das – weiterhin – tun?

Indem wir zunächst tunlichst bestehende Siedlungsstrukturen weiterentwickeln, also dort neue Wohnungen, Büros, Betriebsflächen ermöglichen, wo die bisherigen Nutzungen brachgefallen sind oder wo einfach „ein wenig mehr geht“. Manche Kritiker versuchen das mit dem Begriff „Nachverdichtung“ zu verteufeln und denken dann immer nur an eine Zunahme der baulichen Dichte. Dem könnte ich entgegnen, es geht ja auch um eine steigende Dichte der Angebote und Möglichkeiten! Wenn man das mit Hirn und Anspruch macht,  ist das für alle ein Gewinn: Nehmen wir z.B. eine Fläche, die als Parkplatz dient und wo stattdessen ein Wohnbau mit einer belebten Erdgeschoßzone mit Geschäften oder Infrastruktureinrichtungen hinkommen soll. Vielleicht können begleitend auch noch die Grünflächen rundherum und/oder der Straßenraum attraktiviert werden – das sind potenzielle Win-Win-Situationen für die Wohnungssuchenden einerseits, aber auch für die bestehenden Bewohner*innen andererseits, die dann plötzlich einen Nahversorger, ein Café oder eine Arztpraxis in unmittelbarer Nachbarschaft haben.

Wir müssen gleichzeitig ehrlich sein: Angesichts des prognostizierten Bevölkerungsplus wird „Bestandsentwicklung“ allein nicht reichen. Wir werden weiterhin Stadterweiterungsgebiete brauchen. In Wien heißt das aber, dass kompakte Strukturen geplant werden, wo pro Kopf möglichst wenig Grundfläche benötigt wird. Wir sprechen gerne von „qualitätsvoller Dichte“, die freilich auch (erwünschte!) „Nebenwirkungen“ hat. Etwa indem sie durch eine entsprechende Dichte von Kundinnen und Kunden letztlich dazu führt, dass eine „Stadt der kurzen Wege“ gelingen kann, die dann mehrfache Dividenden abwirft: sie fördert die Nutzung des Umweltverbunds und damit ein klimafreundliches, aber auch gesundheitsförderliches Mobilitätsverhalten, sie schafft damit auch Platz für Gestaltungs- und Klimaanpassungsmaßnahmen im öffentlichen Raum (weil weniger Stellplätze erforderlich sind), sie stärkt die lokale Wirtschaft (weil mehr Menschen vor Ort ihre Erledigungen machen), sie trägt auch zu Integration und sozialem Zusammenhang bei (weil man sich in der Nachbarschaft begegnet und kennenlernt) – etc. etc.

© Stadt Wien / Gerd Götzenbrucker

Für die Attraktivierung und Begrünung des öffentlichen Raums wurde in den letzten Jahren in Wien ja bereits viel getan – im Zuge der Radwegoffensive bzw. nach dem Motto „Raus aus dem Asphalt“. Sagt uns der Wien-Plan auch, wie es damit weitergeht?

In diesem Bereich ist tatsächlich bereits viel weitergegangen. Wenngleich wir in den nächsten Jahren voraussichtlich günstigere Lösungen finden werden müssen, werden die Investitionen in den öffentlichen Raum – v.a. seine Klimafitness – sicherlich weitergehen (müssen). Die Wienerinnen und Wiener erwarten sich das auch. Das haben die Zahlen aus der Wiener Lebensqualitätsstudie 2023 anschaulich gezeigt: Rund drei Viertel der Befragten sprechen sich dafür aus, verkehrsberuhigte Grätzel zu schaffen, und zwei Drittel stehen dabei sogar einem Rückbau von Straßen und Parkplätzen für mehr Grünraum und Abkühlung positiv gegenüber!

Der Wien-Plan liefert dazu erstmals Richtwerte für Entsiegelung und Baumüberschirmung bei Umgestaltung öffentlicher Räume, verankert den Ansatz der „Beserlparks XL“ – also der Erweiterung kleinerer Parks v.a. in den vormaligen Straßenraum hinein – und etabliert die neue Idee von „Gartenstraßen“. Bei letzteren werden wir Straßenabschnitte so intensiv wie möglich begrünen und ihnen so einen parkähnlichen Charakter verleihen. Gerade in Gebieten mit einem Grünraumdefizit werden wir so Abhilfe schaffen.

Schauen wir zum Abschluss noch ins Jahr 2035, von dem wir jetzt schon so viel gehört haben. Wie sieht das Wien der Zukunft Deiner Meinung nach aus?

Ich frage mich manchmal, was ich 2015 auf die Frage geantwortet hätte, wie das Wien des Jahres 2025 aussehen wird, – und ob meine Prognose treffend gewesen wäre… Städte sind kontinuierlich in Veränderung, passen sich beständig neuen Anforderungen an. Das geschieht auch in Wien ständig und in professioneller Weise – ich denke beispielsweise an die Maßnahmen, die gesetzt wurden, um mit dem neuen Phänomen der „Leih-E-Scooter“ ein gutes Auskommen zu finden. So gesehen wird im Kleinen 2035 vieles anders sein, das ich heute nicht benennen kann. Im Großen wiederum wird vieles einen, zwei Schritte weiter sein, an welchem wir als Planende mit unserem langen Atem schon länger arbeiten: ich denke an Stadtentwicklungsgebiete wie den Nordwestbahnhof, Rothneusiedl, die Seestadt oder das Donaufeld; oder an das U-Bahn- und Straßenbahnnetz (mit dem Linienkreuz U2xU5 bzw. den Linien 12, 18 und 27). Andere Erfolge werden weniger klar erkenntlich sein, etwa die Stärkung der Zentrenbereiche als Orte verdichteten städtischen Lebens bzw. der „Stadt der kurzen Wege“. Im öffentlichen Raum werden sicherlich zahlreiche Maßnahmen in Richtung Mobilitätswende, Energiewende und Klimaanpassung das Stadtbild nachhaltig verändert haben. Neu wird hier sein, dass wir öfter zunächst mit temporären Maßnahmen etwa zur Verkehrsberuhigung und Begrünung gearbeitet haben werden. Der „Goldstandard“ wird künftig nicht immer gleich umsetzbar sein. So werden wir auch in budgetär herausfordernden Zeiten viel weitergebracht haben. Mit dem Wien-Plan haben wir jedenfalls jeden Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen.

Zur Person:

Clemens Horak studierte in Wien Bauingenieurwesen und Volkswirtschaftslehre. 2010 startete er seine Laufbahn bei der Stadt Wien. Seit 2022 leitet er die Magistratsabteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung.


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