Schritt für Schritt in Richtung Zukunft

© Stadt Wien/Rudolf Schmied

Stadtentwicklung denkt in die Zukunft. Was ist nötig, damit Wien auch für künftige Generationen lebenswert bleibt? Wie wird leistbares Wohnen, Arbeiten und nachhaltiger Klimaschutz neu definiert? In vielen Stadtentwicklungsgebieten wird sichtbar, wie diese Zukunft entsteht.

Geführte Touren zu diesen Arealen im Umbruch waren seit jeher ein gängiges Format, um Stadtentwicklung zu vermitteln. Aktuell erfreuen sich Stadtentwicklungsspaziergänge besonders großer Beliebtheit und gehören schon länger zum beruflichen Alltag von Andreas Schwab dazu. Im Herbst 2022 geht der gelernte Forstwirt in Pension. Hier erzählt er uns, was er an Spaziergängen schätzt, warum er auf das Stadtentwicklungsgebiet rund um den Hauptbahnhof besonders stolz ist und an welche Situationen er sich aus den letzten Jahren besonders oft und gern erinnert.

Andreas Schwab, Programmmanagement Hauptbahnhof und Neues Landgut, © Stadt Wien/Rudolf Schmied

Was schätzt Du am Spazierengehen im Rahmen der Stadtentwicklung?

Am meisten schätze ich die Kombination von Lehren und Lernen, wenn ich interessierte Leute führe. Stadtentwicklung ist für viele Menschen undurchschaubar, politische und planerische Entscheidungen werden früh getroffen, lange Planungsperspektiven und Entwicklungszeiten sind schwer überblickbar. Information über diesen langen Weg sind wichtig, Unklarheiten und Fehlmeinungen müssen ausgeräumt werden. Natürlich muss ich mich auf Gruppen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen einstellen. Kritische Stimmen und Fragen sind lehrreich und helfen die eigene Tätigkeit und die der Fachdienststellen immer wieder zu hinterfragen.

Ob ein Stadtteil wirklich gelungen ist, steht erst nach Jahren des praktischen Belebt Seins fest. Am Hauptbahnhof und im umgebenden neuen Stadtteil wurden bis jetzt keine wirklichen Mängel festgestellt, die Bewohner*innen sind durchwegs zufrieden, was ja das wichtigste Kriterium ist. Nachbessern kann man immer, das wird ja in allen Stadtteilen so gemacht, auch in den alten. Weil wir mit der Zeit und mit den Projekten lernen und hinterher immer g’scheiter sind, als vorher.

Wie viele Spaziergänge hast Du im Laufe Deines Arbeitslebens absolviert?

Das ist schwer zu sagen, wobei Führungen möglicherweise für die Besucher*innen „Spaziergänge“ sind, für die Ausführenden ist es sicher „Arbeit“: Vorbereitung von Unterlagen, Routenplanungen, Organisieren der Abläufe, Durchführen der Exkursionen und meistens noch Nachbearbeitung (Beantwortung von offen gebliebenen Fragen, Nachsenden von gewünschten Informationen) sind zu erledigen.

Zur Zahl der Führungen: Ich habe früher Aufzeichnungen darüber geführt und ich kann mich erinnern, dass ich in einer Reihe von Jahren zwischen 40 und 50 Exkursionen jährlich geführt habe, das Maximum waren 55 Spaziergänge, überwiegend mit internationalen Fachdelegationen. Das war noch in der MA 49, da habe ich mit den Gruppen die städtischen Wälder und Felder durchstreift, sehr oft auch auf Rax und Schneeberg. Aber so hoch war die Zahl nicht jedes Jahr. Ich schätze die Summe aller Führungen auf vielleicht 900, von 1989 bis heute. Allein die „BI Hörndlwald“ in Hietzing, welche die Maßnahmen der Stadt Wien im Wald hartnäckig beeinspruchte, habe ich in 15 Jahren mindestens vierzig Mal geführt und über Naturschutz und Waldwirtschaft aufgeklärt – das war für beide Seiten sehr lehrreich.

Wie kam es dazu, dass Spaziergänge einen so großen Teil Deines Arbeitsalltags ausgemacht haben?

Drei Tage nach meinem Dienstantritt in der MA 49 wurde mir aufgetragen, eine japanische Gruppe von Forstfachleuten in Form eines Diavortrags zu betreuen. Ich hatte noch wenig Ahnung vom Betrieb und war wirklich gestresst und unsicher. Außerdem führte ich den einen oder anderen Minutenschlaf bei den Gästen auf meinen langweiligen Vortrag im abgedunkelten, stickigen Raum zurück, was mir zu denken gab.

Seitdem mache ich Vorträge nur im „Notfall“, wenn einer Gruppe wirklich wenig Zeit zur Verfügung steht. Üblich wurde die Tour in den Wald, in den letzten 13 Jahren auf die Baustellen. Wichtig ist das Hineingehen ins Gebiet, das Erklären der Vorgänge vor Ort und in Echtzeit.

Die mit der Zeit attraktiver werdenden Spaziergänge machten die Runde, die Nachfrage stieg, insbesondere von Seiten der Wiener Schulen. Bald konnte ich die Nachfrage alleine nicht mehr abdecken und verteilte die wissbegierigen Schulklassen auf meine Forstkollegen in den stadtnahen Revieren, teilweise auch gegen anfängliche Widerstände. Ich erarbeitete Schulstufengerechte Pädagogikkonzepte und in der Folge wurde – jetzt schon unter Leitung eines neuen Kollegen – die Erste Wiener Waldschule bei der Jubiläumswarte eingerichtet.
Ein wesentlicher Aspekt war für mich immer, Arbeit darzustellen und zu begründen. Früher war es die Bewirtschaftung der Wälder und Felder, heute sind es die Planung und Herstellung von Infrastruktur, von Wohnhäusern, Schulen oder Parks.

Historische Halle Neues Landgut, © Stadt Wien

Was sollte jemand, die oder der Spaziergänge führt, jedenfalls tun oder keinesfalls tun?

Jedenfalls sollte man gut vorbereitet sein und möglichst viel Wissen mitbringen. Ortskenntnis, fachliche Unterlagen, ordentliche Planung der Route und der Pausen, Notfallpläne etc. sind die Grundausstattung für Führungen. Es schadet nicht, sich vorher über das Herkunftsland und die Organisation der erwarteten Gruppe gründlich informiert zu haben. Gruppen, die nicht aus Wien sind, haben oft auch Fragen zu anderen Stadtteilen, zur Geschichte Wiens – oder einfach nur, wo es ein gutes Lokal, einen guten Heurigen gibt.

Ich kann auch einen gesellschaftspolitischen Standpunkt vertreten, lasse aber keinesfalls eine parteipolitische Bemerkung fallen. Auch sollte man sich nicht davor scheuen, etwas nicht zu wissen. Unbeantwortete Fragen werden notiert und die Antworten verlässlich nachgeschickt.

Und wenn geplant ist, dass der Spaziergang nicht eine Woche lang dauern soll und die Gruppe im Streit auseinandergeht, sollte man sich nicht auf Diskussionen des Geschmacks einlassen, z. B. ob ein Gebäude gefällig ist oder nicht. Da tue ich mir leicht: „Schön“ oder „schiach“ sind keine Kategorien des Managements und Controllings, dazu muss ich nichts sagen.

An welchen Spaziergang erinnerst Du Dich gerne zurück?

An einen Besuch von historischer Tragweite: 2002 besuchten der Japanische Kaiser Akihito und die Kaiserin Michiko für vier Tage Österreich. Ihr Wunsch war, für einen halben Tag den Lainzer Tiergarten zu besuchen. Zwei Monate dauerten die Vorbereitungen, ich war zur Geheimhaltung verpflichtet, die Routenplanung wurde wieder und wieder durchbesprochen. Sicherheitsfragen waren zu bedenken, insbesondere da der Tiergarten nicht für die Öffentlichkeit gesperrt war. Es wurde ein strahlend schöner Tag mit einem unglaublichen Blick auf Wien. Das Treffen mit dem hochgebildeten Kaiserpaar hat mich nachhaltig beeindruckt. Ein Jahr später hat die Stadt Wien, in Zusammenarbeit mit der japanischen Botschaft, am Wiener Blick den „Tenno-Kogo-Stein“ gesetzt, ein schönes Denkmal für diesen wirklich „denkwürdigen“ Besuch.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Besucher*innen aus Norwegen. Am Ende jeder Exkursion stellten sich die Leute immer vor mir auf und sangen mir im Chor ein Reiselied als Dank, eine sehr feine Geste.

Eine rührende Geschichte fällt mir auch zum Hauptbahnhof ein: An einem kalten Novembertag führte ich spät eine Gruppe von Student*innen aus Brasilien, welche zu einem Praktikum in Österreich waren, im Areal. Es war bitterkalt und als wir auf der Aussichtsplattform des bahnorama-Turms standen, fielen – wie bestellt – die ersten Schneeflocken, was die jungen Leute, von denen die wenigsten je Schnee gesehen hatten, bezauberte – und mich auch.

Und was war Deine skurrilste Spaziergangserfahrung?

Wieder im Lainzer Tiergarten: Als ich mit einer schwedischen Gruppe von Biolog*innen den Johannser Kogel, ein eingezäuntes und für die Öffentlichkeit gesperrtes Waldreservat besuchte, entdeckten die Gäste einen jungen Burschen, der sich unter einem Gewirr von umgestürzten Bäumen versteckte. Nach einigen fehlgeschlagenen Kommunikationsversuchen und nachdem er mir einen Zettel unter die Nase gehalten hatte, war klar: Er machte eine „Vision quest“, durfte nicht reden und musste drei Tage und Nächte im Wald verbringen. Aus Angst vor den Wildschweinen hatte er sich in das eingezäunte Areal geflüchtet, wo er aus mehreren Gründen nicht sein durfte: Er war im gesperrten Schutzgebiet, er war abseits der Wege (im Tiergarten gilt ein Wegegebot) und er wollte im Wald übernachten, was in ganz Österreich verboten ist. Was sollte ich jetzt mit ihm tun? Ich klärte ihn auf, ermahnte ihn, keinen Müll zu hinterlassen und wünschte ihm viel Erfolg auf seinem spirituellen Ausflug. Die lässigen Gäste aus Schweden honorierten die Entscheidung mit Beifall.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Du gehst nicht hauptberuflich spazieren, sondern hast inhaltlich die Programmleitung für die Stadtentwicklungsareale Hauptbahnhof und Neues Landgut inne. Was ist das Besondere an diesen Gebieten? Und worauf bist Du – wenn Du an die Arbeit der letzten Jahre und Jahrzehnte denkst – besonders stolz?

Das Projektgebiet Hauptbahnhof ist ein großes Areal mit einem sehr langen Entwicklungszeitraum von 2003 bis 2023. Das schreckt mich als gelernten Forstwirten nicht. In der Forstwirtschaft sind Produktionszeiträume von 80-200 Jahren üblich, je nach Waldtyp und angestrebtem Produkt.

Das Besondere am Entwicklungsgebiet Hauptbahnhof ist sicher die Größe: 100 Hektar, das ist etwa die Größe des 8. Bezirks und es ist die Komplexität: Der Hauptbahnhof mit seinen Anschlüssen an das städtische, regionale und überregionale Verkehrsnetz, der Individualverkehr, Fußgänger*innenströme, Lieferverkehr, Ver- und Entsorgung. All das muss berücksichtigt, ordentlich geplant und gebaut werden. Dazu kommen die Anforderungen der privaten Investor*innen bei Büro-, Hotel- und Wohnbauten, die Notwendigkeiten bei Schulen und Kindergärten, beim Park usw.
Was mich besonders stolz macht: Wir – und damit meine ich die weit über hundert Bediensteten der Stadt Wien, hunderte Beteiliget bei den privaten Investor*innen und sicher tausende Arbeiter*innen – haben es geschafft, einen Stadtteil zu planen und umzusetzen, wo bis heute kein grober Mangel gefunden wurde, das habe ich ja vorher schon angeschnitten. Und was wirklich erwähnenswert ist: Alle städtischen Beteiligten haben eine hohe Diskussions- und Arbeitskultur über Jahre aufrechterhalten, ebenso wie die Kolleg*innen der ÖBB, unserer Hauptpartnerin im Projekt. Trotz mancher Krisen, Meinungsverschiedenheiten und Unzufriedenheiten mit Entscheidungen „von oben“, konnten wir uns immer darauf verständigen, dass das Ziel, ein Programm erfolgreich zu Ende zu bringen, nicht aus den Augen zu verlieren ist.

Die Anwendung der Werkzeuge des Projektmanagements war – und wird es bleiben – ein wichtiges Instrument, die Vorgänge zu koordinieren, den Überblick nicht zu verlieren und regelmäßig fundierte Berichte über den Stand des Programms an die Vorgesetzten zu liefern.

Ein kleiner aber feiner Aspekt, den ich nicht unerwähnt lassen kann, sind auch die Kosten. Von den 515 Millionen Euro, welche von der Stadt für die Investitionen genehmigt wurden, wurden nur zirka 460 Millionen verbraucht. Ich denke, das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, zu dem ich allen Beteiligten in den Dienststellen und im städtischen Umfeld nur gratulieren kann.
So ist ein qualitativ hochwertiger Stadtteil entstanden – und mit dem kleineren Neuen Landgut ist ein weiterer im Entstehen – der auch international große Beachtung findet und vermehrt von in- und ausländischen Fachgruppen besucht wird. Diese Gruppen brauchen natürlich Informationen aus erster Hand – womit wir wieder bei den Spaziergängen landen.

Geführter Spaziergang Neues Landgut, © Stadt Wien

Wohin führte Dein erster Spaziergang? Und wohin führt Dich Dein letzter Arbeitsspaziergang?

Der erste Spaziergang war eine Ausfahrt mit dem Autobus mit einer japanischen Gruppe von Forstleuten, Stadtplanern und Politikern, welche sich die Grünflächenausstattung von Wien anschauen wollten. Wir besuchten den Ottakringer Wald mit der Jubiläumswarte und fuhren über die Höhenstraße zum Leopoldsberg, von wo wir die Donauinsel und auch die Lobau sehen konnten. Selbstverständlich machten wir unterwegs mehrere Stopps, um in den Wald hineinzugehen, ihn wirken zu lassen und Dinge zu „begreifen“.

Schon bei dieser Exkursion merkte ich, dass mein Wissen nicht auf Wald und Wiese beschränkt bleiben durfte. Menschen, die auf der Terrasse des Leopoldsbergs stehen, wollen die ganze Stadt erklärt bekommen und nicht nur den Wienerwald.

Die Besucher*innengruppen waren übrigens durchwegs sehr positiv überrascht, wenn sie anstelle des angefragten Diavortrags – oder später Powerpointvortrags – einen Ausflug ins Gelände angeboten erhielten.

Am Hauptbahnhof führte der erste „Spaziergang“ mitten in die Baustelle beim ehemaligen Ostbahnhof. Ein Beschwerdeführer hatte schon auf mehrere Antwortschreiben unsererseits jeweils mit „Ja, aber …“ geantwortet, sodass wir im Team der damaligen Programmleitung eigentlich schon gar nicht mehr antworten wollten, was aber auch nicht geht. Also habe ich mich mit dem Herrn getroffen und wir sind mehrere Stunden in dem riesigen Areal aus Ruinen und Halden von Abbruchmaterial herumgestapft, begleitet von meinen Erklärungen und von seinen Einwänden. Am Ende hat der Mann die Erläuterungen angenommen und wir haben uns im Guten getrennt. Beschwerdebriefe sind von ihm keine mehr gekommen.
Mein letzter geplanter Spaziergang, bevor ich mich aus dem aktiven Berufsleben zurückziehe, wird am 29. September sein. Ich werde die Wiener Stadtrundfahrtenbegleiter*innen durch das Neue Landgut und durch das Entwicklungsgebiet am Hauptbahnhof führen und ihnen den Letztstand bei den beiden Projekten vermitteln. Ich finde, das ist ein schöner und passender Abschluss meiner Tätigkeit im Bereich der Wissensvermittlung und freue mich schon auf diesen Termin.

Zur Person

Ausgebildeter Forstwirt, 1986 in der MA 49 begonnen, nach einer Unterbrechung ab 1989 wieder dort, bald in die magistratische Öffentlichkeitsarbeit gekommen. Zweiter Bildungsweg: Ausbildung in der Öffentlichkeitsarbeit, bis 2009 PR-Leitung in der MA 49. Dann 2 Jahre PR für das Programm Hauptbahnhof in der MD-BD. Dritter Bildungsweg: ab 2011 Programmmanagement und Controlling für das Entwicklungsgebiet Hauptbahnhof, ab 2016 auch für das Neue Landgut. Ruhestand geplant ab Herbst 2022.

Zu den Spaziergängen Gemma Zukunft