Stadtentwicklung denkt in die Zukunft

Gustav-Holzmann-Platz im Zentrum des Carré Atzgersdorf © Volkmar Pamer

Dipl.-Ing. Volkmar Pamer ist seit 1994 für die Stadt Wien in der Stadtplanung tätig. Im Interview gibt er Einblick in seine größten Projekte im Rahmen der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne für den Südraum Wiens.

Du bist Projektkoordinator für das Zielgebietsmanagement Liesing-Mitte gewesen. Was ist das Besondere an diesem Gebiet? Und worauf bist Du – wenn Du an die Arbeit der letzten Jahre und Jahrzehnte denkst – besonders stolz?

Das Besondere am Zielgebiet Liesing ist der Umstand, dass es fast alle städtebaulichen Herausforderungen, bis auf jene einer dicht bebauten Innenstadt, aufweist. Amorphe Transformationsgebiete im Bereich eines alten Ortskerns (Atzgersdorf), Bauen auf der de facto grünen Wiese (In der Wiesen) und Gewerbe- und Industriegebiete (Industriegebiet Liesing).

Volkmar Pamer © Tamara Weiss

Grundsätzlich bin ich darauf stolz, dass – auf Grund der guten Zusammenarbeit mit meinen Kolleg*innen in der MA 21A, anderen Magistratsabteilungen, der Wirtschaftsagentur, der Wirtschaftskammer, den verschiedensten Bauträgern und den verschiedensten Planungsteams – es gelungen ist, bis auf ein Projekt alle Vorhaben, die ich mir zu Beginn meiner Tätigkeit im Jahr 2008 vorgenommen habe, durchführen konnte. Immerhin handelt es sich dabei um ca. 11.000 Wohnungen, die bereits errichtet sind, sich in Errichtung befinden bzw. für die die Errichtungsvoraussetzungen gegeben sind. Dazu kommen Schul- und Kultureinrichtungen und die Revitalisierung des ältesten und größten einzelnen Industriegebiets Wiens, in dem nun ca. 4.500 zusätzliche Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind.

Stadtentwicklung denkt in die Zukunft. Was ist nötig, damit Wien auch für künftige Generationen lebenswert bleibt?

Klimaresilienz! Wichtig dabei ist Wien als kompakte Stadt zu erhalten, die Qualität des (hoffentlich stark durchgrünten) öffentlichen Raumes zu steigern. Den öffentlichen Verkehr noch besser zu machen (Tangentialverbindungen, besonders in den äußeren Bezirken) und vorhandene Unverwechselbarkeiten erhalten und neue zu schaffen, damit ein großes Identifikationspotential immer gegeben ist. Zusätzlich ist einer der wesentlichsten Punkte, dass das leistbare Wohnen – eine über 100-jährige Tradition – auch weiterhin einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Faktor in der Stadtpolitik bleibt.

Du hast als Projektkoordinator viele Spaziergänge durch Atzgersdorf angeboten. Was schätzt Du am Spazierengehen im Rahmen der Stadtentwicklung?

Unbedingt der Kontakt zu den Bürger*innen. Im Rahmen dieser Spaziergänge kann man anschaulich städtebauliche Entwicklungen erklären und viele Zweifel ausräumen. Wenn Menschen über die Hintergründe einer Planung Bescheid wissen und was die ausschlaggebenden Parameter waren und sind, wenn die Genesis des Prozesses bekannt ist, dann verstehen sie viel besser Entwicklungen. Ich habe oft Skepsis am Beginn einer Führung erlebt, um nachher feststellen zu können, dass diese einem Verständnis gewichen ist.

Atzgersdorf – Quartier Levasseurgasse © Volkmar Pamer

Wie viele Spaziergänge hast Du im Laufe Deines Arbeitslebens absolviert?

Im Laufe meines Arbeitslebens in der Wiener Stadtplanung, und dieses begann im Jahr 1994, habe ich weit über 200 Spaziergänge und Führungen absolviert, wobei die meisten auf das Kabelwerkprojekt im 12. Bezirk fallen. Bei diesem Projekt war ich einer der beiden Projektkoordinatoren. Im Zielgebiet Liesing werden es wahrscheinlich so um die 25 – 30 Führungen sein.

An welchen Spaziergang erinnerst Du Dich gerne zurück?

Heuer im April in Atzgersdorf. Angemeldet waren ca. 10 Personen aber aufgrund des katastrophalen Wetters (es hat waagrecht geregnet), kamen nur 4 Personen. Diese waren aber mit einer Begeisterung dabei, dass sie über zwei Stunden durchgehalten haben. Das war wirklich beeindruckend und hat trotz oder gerade wegen des Wetters Spaß gemacht.

Und was war Deine skurrilste Spaziergangserfahrung?

Im Zielgebiet Liesing hatte ich keine nennenswerten, skurrilen Erfahrungen. Alle Führungen waren im Grunde genommen durch Harmonie geprägt. Etwas skurril war eine Führung mit einer US-amerikanischen Delegation im Kabelwerk – auch bei sehr schlechtem Wetter (es hatte waagrecht geschneit). Da die Teilnehmer*innen für ein derartiges Wetter in keiner Weise gerüstet waren, verschwanden während der Führung etwa zwei Drittel sang- und klanglos, um der Kälte zu entkommen.

Du hast Atzgersdorf und den 23. Bezirk jahrzehntelang begleitet. Was wünschst Du dem Gebiet?

Es waren ziemlich genau 15 Jahre, die ich in und für Atzgersdorf gearbeitet habe. Ich wünsche mir, dass das Projekt Wildquell, für das der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan kurz vor der Fertigstellung steht, genau in der intendierten, beispielhaft klimaresilienten Art fertiggestellt wird. Ich hoffe, dass die Kulturnutzung in der ehemaligen Sargfabrik auch tatsächlich stattfindet, so wie sie von den Investoren versprochen wurde. Ein weiterer wesentlicher Punkt wäre, dass zukünftig die großen Parkplatzflächen nördlich des neuen Stadtparks Atzgersdorf verschwinden und einer multifunktionalen Nutzung weichen. Es kann heutzutage nicht mehr angehen, dass es solche Flächen gibt. Stadtraum ist kostbar. Last but not least wäre es nett, könnte sich ein schöner, großer Biergarten im eben erwähnten Stadtpark etablieren. Widmungstechnisch wären die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, da es sich um einen idealen Standort handelt und eine solche Einrichtung in Atzgersdorf – eigentlich in ganz Liesing – fehlt.

 

Zur Person

Geboren: 1958 in Linz

Studium der Architektur an der TU Wien, bis 1994 freischaffender Architekt mit Schwerpunkten Wohn- und Geschäftsgebäude, EF-Häuser, Hotels, Denkmalpflege (Fokus auf Adolf Loos), Industriearchitektur sowie Möbel- und Innenraumdesign.

Seit 1994 für die Stadt Wien in der Stadtplanung tätig. Hauptaufgaben: Flächenwidmungs- und Bebauungspläne für den Südraum Wiens, Ko-Projektkoordinator für die Neuplanungen auf dem Areal der Kabelwerke in Wien/Meidling, Ko-Autor von zwei Büchern zu diesem Thema. Koordinator für das Zielgebiet ‚Liesing Mitte’ der Wiener Stadtplanung (Schwerpunkt auf Urban Farming, ressourcenschonende Gewerbegebiete, Transformationsgebiete).

Gründungsmitglied der IFHP Arbeitsgruppe ‚MILU’ (Multifunctional and Intensive Land Use), Mitentwickler des Workshopformats ‚Implementation Lab’ und Facilitator in ungefähr 50 Implementation Labs europaweit und den USA. Wiener Repräsentant in den EU-Projekten MILUnet und URBACT-REDIS (Restructuring Districts Into Science Quarters), sowie EUROCITIES, Ko-Autor des Buches MILUnet – Principles, Practices, Projects, Policies, Mitinitiator des städtebaulichen Netzwerks CUPA (Co-operative Urban Planning Approaches) mit Aktivitäten in Polen, der Slowakei, Serbien, der Ukraine, Rumänien und Estland. Standortinitiator und -repräsentant in mehreren EUROPAN Wettbewerben. Kooperationstätigkeiten mit der Columbia University NYC, der Universität Wien, der Technischen Universität Wien und der Gartenbauschule Schönbrunn. Vortragstätigkeit in Europa, China, Japan, Korea und den USA.

Zu den Spaziergängen Gemma Zukunft

Weitere Informationen zum Stadtentwicklungsgebiet Liesing