Viel Neues im Wiental. Zu den aktuellen Projekten beim Naschmarkt

Nach Eröffnung des neuen Marktraums beim Naschmarkt wurden neben kulinarischen Fragen auch unterschiedliche städtebauliche und stadtplanerische Aspekte debattiert, die in diesem Beitrag erläutert werden sollen.  

Das Wiental in seiner heutigen stadträumlichen Struktur geht im Wesentlichen auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Eine der zentralen infrastrukturellen Voraussetzungen für das enorme Wachstum in dieser Zeit war die Bewältigung der latenten Hochwasserproblematik. Neben der 1. Donauregulierung kam es 1894–1906 auch zu einer umfassenden Wienflussregulierung und damit zu einer umfassenden städtebaulichen Transformation des Wientals: Dabei wurde der Fluss in sein noch heute vorhandenes gemauertes Kanalbett gelegt und die bestehenden Cholerakanäle um zwei Hauptsammelkanäle erweitert. Die Stadtbahn wurde direkt neben dem Flussbett errichtet, neue Straßen sowie neues Bauland wurden geschaffen. Voraussetzung dafür war die Errichtung der insgesamt 37 Hektar umfassenden Rückhaltebecken Auhof. Die Transformation kann auch als „ein groß angelegtes stadträumliches Tauschgeschäft“ (Friedrich Hauer) bezeichnet werden, da durch diese Maßnahme im inneren Bereich des Wientals ca. 45 Hektar Fläche als Bauland nutzbar gemacht werden konnten.

Bewegte Geschichte im vergangenen Jahrhundert

Imperialer Aspekt dieser Maßnahmen war die Idee eines repräsentativen Prachtboulevards durch eine Überwölbung des Wienflusses nach Schönbrunn, deren baulicher Realisierung das Ende des Kaiserreiches entgegenstand und die daher nur bis zu dem bis heute existierenden Ende auf der Höhe Café Rüdigerhof realisiert wurde. Bereits in den 1920er Jahren wurde der an anderer Stelle existierende Naschmarkt hierher übersiedelt. Ein Brand zerstörte den als Großmarkt genutzten westlichsten Teil, auf dem sich an Samstagen dann auch der Flohmarkt zu etablieren begann. Das Ende des Naschmarktes bei der Kettenbrückengasse wurde baulich nie wieder hergestellt und insbesondere am Wochenende von temporären Marktständen genutzt.

Der Naschmarkt hatte aber nicht immer die Wertschätzung genossen, die wir ihm heute entgegenbringen. Im von Roland Rainer verantworteten „Planungskonzept Wien“ von 1962 war ein Ausbau des Wientals für eine Stadtautobahn geplant, die auf beiden Seiten des Wienflusses mehrspurig in und aus der Stadt führen sollte, was zwangsläufig zu einem Abbruch des Naschmarktes geführt hätte. Umfangreiche Vorarbeiten waren dafür bereits im Gange und es war unter anderem die von Ottokar Uhl und Jos Weber 1974 veröffentlichte „Städtebauliche Studie Wiental“ die dieses Konzept hinterfragte und damit eine Diskussion in Gang setzte, die letztendlich den Naschmarkt rettete.

Umfassender Masterplan für das Gebiet

Das Wiental blieb aber Aktionsfeld der Stadtplanung. Das „Zielgebiet Wiental“ (2008 – 2014) definierte neben der Erlebbarmachung der Flusslandschaft, der Schaffung neuer Aufenthaltsbereiche (Wiental-Terrassen), der Schaffung des Wientalradweges auch die Aufwertung des Naschmarkt-Umfeldes als Entwicklungsziel. Nach ersten temporären, künstlerischen Interventionen wurde im Regierungsprogramm 2020 das Projekt einer Markthalle vereinbart. Im Rahmen eines kooperativen Verfahrens wurde dafür ein Masterplan entwickelt, der – vereinfacht gesagt – drei Zonen vorschlug: Eine parkähnliche Gestaltung am Ende des Areals, welche mittlerweile als Naschpark bereits umgesetzt wurde; eine multifunktional codierte Fläche im Anschluss, die an Samstagen weiterhin den Flohmarkt beherbergen sollte, an den anderen Tagen aber vielfältig (Sport, Veranstaltungen, Fahrradkurse, etc.) genutzt werden soll. Östlich der Kettenbrücke sollte statt Parkplätzen und Verkaufsständen textiler Massenwaren eine Entreé-Situation für den Naschmarkt geschaffen werden, die räumlich und produkttechnisch einen klaren Auftakt zum Marktgebiet darstellt. Dafür wurden mögliche Bebauungsspielräume und maximale Höhen definiert. Der samstägliche Bauernmarkt sollte auch in Zukunft Platz finden und neben der Verkaufs- und Konsumationsfunktion wurden auch Überlegungen zu erweiterten Nutzungen über die reine Marktsituation hinaus angestellt. Ideen einer Grätzlküche, in der Schulen die am Markt gekauften Produkte unmittelbar verarbeiten können, und andere Möglichkeiten des konsumfreien Aufenthaltes wurden entwickelt.

Im folgenden Architekturwettbewerb wurde das Projekt der Arbeitsgemeinschaft mostlikely und DnD Landschaftsarchitektur ausgewählt, die die im Masterplan entwickelten Zielsetzungen weiterentwickelt und architektonisch und organisatorisch gemeinsam mit dem Marktamt umgesetzt haben. Gemeinsam mit den bestehenden historischen Gebäuden wurde ein Platz als räumlicher Auftakt definiert. Auf diesem Platz sowie entlang der Rechten Wienzeile können der Bauernmarkt und andere temporäre Nutzungen stattfinden. Die Passagen durch den Marktraum in der Flucht der bestehenden Wege setzen einen Akzent am Anfang (oder am Ende) des Weges des Marktbesuchs. Die Möglichkeit am Dach (konsumfrei!) zu verweilen eröffnet eine bisher nicht bekannte Raumwahrnehmung des Wientals und einen (bisher nicht möglichen) unverstellten Blick auf die Otto-Wagner Häuser.

Lageplan © D\D Landschaftsplanung, Mostlikely Architecture, Buero de Martin (Nutzungskonzept Marktbereich)

Märkte brauchen gute Konzepte

Recherchen bei bestehenden Märkten in ganz Europa zeigten, dass Märkte kein Selbstläufer sind. Veränderte gesellschaftliche und soziale Rahmenbedingungen (wer kauft noch unter der Woche am Markt ein, um die hungrige Familie zu ernähren?) und die Konkurrenz der Gastronomie und der Lieferdienste entlarven manche Vorstellung von Märkten als allzu romantisches Bild aus der Vergangenheit. Märkte haben dann eine Chance, wenn sie qualitative Produkte anbieten, die der Supermarkt um die Ecke nicht hat. Neben Obst und Gemüse sind es vor allem Fleisch, Fisch, Brot oder Käse, die – verbunden mit einem besonderen Kauferlebnis – wesentlich für die Attraktivität eines Marktes sind. In diesem Sinne ist der neu eröffnete Marktraum als Teil des Naschmarktes zu sehen, der in seiner Gesamtheit, mit nun zwei starken Polen an den beiden Enden, diese Ansprüche erfüllen kann. Die Betreibersuche nach innovativen und interessanten Händler*innen brachte ein vielfältiges Ergebnis. Die integrierte Marktküche und das Markträumchen als mietbarer Raum für alle möglichen Veranstaltungen und Treffen bieten noch ein zusätzliches Angebot die Möglichkeiten des Naschmarktes zu nützen.

Mit den nun umgesetzten Projekten wurde der Entwicklungsgeschichte des Wientals eine weitere Schicht hinzugefügt. Statt Parkplätzen entstanden Begegnungsräume im urbanen Kontext, der Naschmarkt erhält eine erweiterte Entwicklungsperspektive und Bäume und Begrünungen wurden gepflanzt, wo bisher Asphalt dominierte.

Geschrieben von DI Dr. Bernhard Steger, Abteilungsleiter MA 21 A – Stadtteilplanung und Flächenwidmung Innen-Südwest