Corona 1: Die Rolle der Stadtplanung für die Krisenbewältigung
Rasche Veränderungen mit unabsehbaren Folgen erfordern Robustheit und Anpassungsfähigkeit des Systems Stadt. Es ist Aufgabe der Stadtplanung, diese Offenheit der Stadt gegenüber Veränderungen bei gleichzeitiger Sicherung eines auf stabilen Werten beruhenden, nachhaltigen Entwicklungspfades zu gewährleisten.
Seit dem Ausbruch von Covid-19 gibt es kaum einen Bereich unseres Lebens, der nicht aufgrund des neuen Krankheitserregers unter einem neuen Licht betrachtet und bewertet wurde. Die Art und Weise, wie wir unser alltägliches Leben führen, wie wir einander begegnen und wie wir arbeiten, musste sich binnen kürzester Zeit an den Ausnahmezustand anpassen. Auch die Stadtentwicklung und Stadtplanung steht vor Herausforderungen, deren Gewicht durch den Schock der Pandemie deutlich sichtbar wurde.
Wie in Wien seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr, zeigt sich im Jahr 2020 die Bedeutung der Krisenfestigkeit der Stadt und ihrer Systeme. Doch jede Krise ist anders. Unterschiedliche Krisen stellen teils sogar widersprüchliche Anforderungen an die Systeme der Stadt. Die Lösung kann daher nur sein, Maßnahmen und Systeme zu forcieren, die sich in möglichst vielen Situationen bewähren und robust sind.
Es konnte beobachtet werden, dass in dieser unsicheren Zeit die Priorität langfristiger Entwicklungskonzepte in den Hintergrund rückt, während die Dringlichkeit anderer Maßnahmen steigt. Doch langfristige Strategien sind Voraussetzung für wohlgesetzte kurzfristige Maßnahmen.[1] Denn auch bei den Erfahrungen, die wir in diesen Monaten gemacht haben, darf zum Beispiel nicht vergessen werden, dass der Schock durch Covid-19 im Verhältnis zu großen Krisen wie der Klimakrise gesehen werden muss.
Die Stadtentwicklungs- und Stadtplanungsabteilung der Stadt Wien hat an einem „Fachpapier Stadtplanung“ gearbeitet, in dem Beobachtungen aus Wien aufgegriffen werden und exemplarisch gezeigt wird, in welchen Lebensbereichen die Stadtplanung eine Rolle für die Krisenbewältigung während Covid-19 sowie darüber hinaus spielt.
Neue Dynamik in der Mobilität
Wegen der Unmöglichkeit, im urbanen öffentlichen Verkehr die Abstandsregeln einzuhalten, wurden öffentliche Verkehrsmittel von vielen VerkehrsteilnehmerInnen vorübergehend gemieden. Hohe Menschendichten in vollen Zügen der U-Bahn zu den Spitzenzeiten sind in der urbanen und kompakten Großstadt nicht zu vermeiden. In der Tat sind sie Ausdruck eines gut funktionierenden Verkehrssystems und unterstreichen die erfolgreichen Bemühungen Wiens im Bereich des öffentlichen Verkehrs.
Verstärkt durch das gute Frühlingswetter konnte parallel eine sehr starke Zunahme des Fahrradverkehrs festgestellt werden. Die Zählstellen wiesen im April ein durchschnittliches Plus von über 20% im Vergleich zum Vorjahr auf, das auch in den Folgemonaten anhielt.[2] Covid-19 verstärkt in diesem Zuge eine Dynamik, die in den Großstädten Europas – besonders in jenen mit hoher Luftverschmutzung – seit einigen Jahren beobachtet werden kann und durch städtische Strategien aktiv unterstützt wird. Kurzfristige Maßnahmen wie die Errichtung von vier temporären Radwegen tragen dem steigenden Anteil an FahrradfahrerInnen im Verkehr Rechnung und fördern die Verkehrssicherheit der RadlerInnen in der Stadt.[3]
Qualitätsvolle Planung von und Versorgung mit öffentlichem Freiraum erhält wieder Wertschätzung
Zeitgleich erlitt ein strategisch erwünschtes Merkmal der Stadt – die hohe bauliche Dichte – eine negative Konnotation: Wer während der Ausgangsbeschränkungen die mitunter kleinen und plötzlich voll ausgelastete Wohnung verlassen wollte, um frische Luft zu schnappen, war angehalten, dies auf unmittelbarem Wege und zeitlich begrenzt zu tun.
Doch Grün- und Freiräume sind im Stadtgebiet nicht überall solchermaßen verteilt, wie sie benötigt werden. Hierdurch erhielt die Diskussion über die qualitätsvolle Dichte in der Stadt frischen Wind.[4],[5] Allerdings zeigen bestehende Strategien, Fachkonzepte und temporäre Maßnahmen Wiens, wie bspw. die Aktion „Mehr Raum zum Rausgehen“ mittlerweile die schockfeste Handlungsfähigkeit und das große Potenzial zur Veränderung in Wien.[6],[7]
Schock und Krise – Doppelte Wirtschaftsförderung?
Neben den teils dramatischen gesundheitlichen Folgen für die von der Krankheit Betroffenen sind bereits auch weitreichende Krisentendenzen für die Wirtschaft erkennbar. Diese ziehen budgetäre Änderungen nach sich, deren Folgen noch lange spürbar sein werden. Der Ausnahmezustand und die damit einhergehenden benötigten Wirtschaftsförderungen stellen eine Chance dar, den notwendigen und herausfordernden Systemwandel strategisch zu gestalten. Andernfalls droht ein doppelter Investitionszwang. Denn die Konfrontation mit den Auswirkungen des Klimawandels ist unausweichlich.
Aus diesem Grunde sollten Investitionen immer eine klimarelevante Komponente haben. Wenn in Wirtschaft investiert wird, muss dies im Sinne der Klimaziele geschehen – sonst wird doppelt investiert werden müssen. Diese Forderung ist fester Bestandteil der Wiener Stadtplanung[8] und erfährt Unterstützung beispielsweise durch das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung.[9]
Quellverweise und weiterführende Infos:
[1] Carsten, Stefan (2005): Zukunftsfähiges Handeln in Stadtregionen. ein handlungsorientierter systemischer Ansatz.
[2] https://www.vcoe.at/presse/presseaussendungen/detail/vcoe-radverkehr-in-wien-ist-im-april-im-vergleich-zum-vorjahr-deutlich-gestiegen
[3] https://coronavirus.wien.gv.at/mehr-platz-fuer-radfahrerinnen/
[4] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wohnen/lehren-aus-der-corona-krise-die-stadt-braucht-dichte-16762304.html
[5] https://www.nytimes.com/2020/03/24/upshot/coronavirus-urban-density-risks.html
[6] https://www.wien.gv.at/verkehr-stadtentwicklung/coolestrasse.html
[7] https://coronavirus.wien.gv.at/mehr-raum-zum-rausgehen/
[8] https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008551.pdf
[9] https://www.wifo.ac.at/news/covid-19_klimawandel_und_konjunkturpakete
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