Comic trifft Stadtentwicklung: Interview mit Nicolas Rivero

© M.Grimmer

Comics in der Stadtforschung? Was zunächst ungewöhnlich klingt, ist am Nordwestbahnhof Realität geworden. Der Illustrator und TU-Lehrende Nicolas Rivero verbindet zeichnerisches Erzählen mit architektonischer Auseinandersetzung – gemeinsam mit seinen Studierenden, die sich in ihren Arbeiten den vielschichtigen Geschichten und Zukunftsvisionen des Areals widmen. Im Interview spricht Rivero über das Potenzial von Comics in der Stadtentwicklung, über zeichnerische Zugänge zu Raum und Erinnerung – und darüber, warum gerade der Nordwestbahnhof ein idealer Schauplatz für solche Experimente ist.

Die Abschlussarbeit seines Architekturstudiums war eine pure Comicarbeit. Die erste überhaupt ihrer Art an der TU Wien. Der Widerstand war entsprechend. Kein Wunder, dass heute Nicolas Rivero freiberuflich als Illustrator arbeitet und Architektur-Comic an der TU Wien („Subjektive Räume/Raumutopien“ am Institut für Kunst und Gestaltung) unterrichtet. Aktuell mit seinen Studierenden am Nordwestbahnhof.

Welche Stadtteile sind für Comics besonders gut geeignet?

Nicolas Rivero: Für meine Kurse suche ich immer wieder neue Plätze und Orte, die für Comics etwas hergeben. Letztes Jahr war das etwa der Matzleinsdorfer Platz. Heuer der Nordwestbahnhof. Es sind idealerweise Orte, die Brüche, Kanten, interessante Geschichten, aber auch Zukunftsentwürfe bieten.

Wie läuft so ein Kurs ab?

Rivero: Wenn der Ort feststeht, dann recherchieren wir zusammen dazu. Ich starte meist mit einer Blockveranstaltung, der in weiterer Folge wöchentliche Online Korrekturen folgen.

Das Interessante am Nordwestbahnhof war für die 15 Studierenden, dass sie da verschiedene Zeitebenen vorgefunden haben, die sie als neues Ganzes zusammenbringen konnten. Leute, die hier gearbeitet, gelebt haben, das ergibt für das Ganze mehr Intensität. Ein Gefühl, dass in der „normalen“ Architektur zu kurz kommt.

Inwiefern hatten die Studierenden bereits Comic-Erfahrungen?

Rivero: Ein Teil von Ihnen wurde über Comic sozialisiert, andere haben irgendwann mal etwas gelesen, was sie begeistert hat. Viele kamen aber hierher, um am Nordwestbahnhof einfach etwas Neues auszuprobieren.

Was waren die Hürden hier am Nordwestbahnhof?

Rivero: Nun, eine gute, passende Geschichte für sechs bis acht Seiten zu finden. Das pure Nacherzählen der Ereignisse wäre da zu flach. Und die Ergebnisse zeigen ja, dass die Student*innen ihre eigene Handschrift, ihren eigenen Zugang gefunden haben. Alternative Realitäten ebenso wie eigene Entwürfe für das Areal. Die Spannbreite der Beiträge ist beträchtlich.

Comic setzt ja eine hohe Qualität im Zeichnen voraus. Eine Qualität, die ja auch in der Architektur vonnöten ist.

Rivero: Ja und ehrlich gesagt auch nein. Natürlich ist Zeichnen sehr wichtig für ein gutes räumliches Verständnis, aber in der Architektur können auch andere Werkzeuge wie der Modellbau oder diverse Computer-Programme hilfreich sein. Dennoch wurde bei uns zuerst einmal mit Bleistift, Gouache, Marker oder etwa Wasserfarben gearbeitet, um dann beispielsweise mit digitalen Tools oder schwarzer Tusche an die finale Ausarbeitung zu gehen.

In der Stadtentwicklung wird viel über die Bedeutung des „richtigen Narratives“ gesprochen. Comics leben davon, kommen aber (fast) nicht in der Kommunikation über neue Stadtteile vor. Warum?

Rivero: Das ist generell ein Problem in der Wissenschaftsvermittlung, wenn soft skills zur Erklärung von komplexen Themen verwendet werden. Auch unter Architekten und Planern entsteht da vielleicht ein ambivalentes Gefühl, wenn etwas aus dem technischen Rahmen zu fallen droht.

Vielleicht sind Comics zu humorvoll?

Rivero: Ich würde das mit meiner Erfahrung in Architekturbüros bestätigen. Ich denke, es geht auch um den Gewinn, den man durch gezeichnete Gedankenspiele in der Architektur erhalten könnte: wie schief kann etwas sein, was passiert wenn ich ein Gebäude völlig überzeichne? So gesehen: Comic macht vielleicht lockerer?

Derzeit gibt es in Wien ja mehrere Stadtentwicklungsprojekte: Neben dem Nordwestbahnhof gibt es etwa Rothneusiedl im Süden oder die Projekte entlang der U2-Achse im Nordosten. Welchen Mehrwert könnte man durch Comics lukrieren?

Rivero: Ich denke etwa im Zuge der vielen Beteiligungsprozesse, die die Stadtentwicklung positiv begleiten, da könnte Comic einen sinnvollen Platz in der Vermittlung einnehmen. Ebenso im Erschließen neuer Zielgruppen, das nicht nur „junge Leute“ meint. Es gibt wirklich viele Menschen, die mit Comic Unterhaltung und Wissen generieren. Schlecht?

Comic-Arbeiten besichtigen

Um die 10 Comic-Arbeiten sind bis 16. Mai 2025 im Ausstellungsraum der Museums-Tankstelle jeden Donnerstag zwischen 15 und 19 Uhr gratis zu besichtigen (Eingang: 20., Nordwestbahnstrasse 16)

Darüber hinaus gibt es über sämtliche StudentInnen-Arbeiten den Sammelband „Vergessene Areale. Der Nordwestbahnhof in fiktionalen Architekturcomics“ mit Arbeiten u.a von Elena Bezmenova, Maria Burzev, Bogdan Caratas, Sarah Cosma, Lejla Demirovic, Meta Grimmer, Tjasa Soos, Oskar Sperl und mehr. (ISBN 978-3-9504879-6-1)

 

Das Gespräch führte Hans-Christian Heintschel (MA 53).