Ich brauch meinen Freiraum! – Interview mit Landschaftsplanerin Christina Stockinger
Seit den 2010er Jahren wächst die Wiener Bevölkerung zusehends besonders stark. Dass viele Menschen gerne in die Bundeshauptstadt ziehen, ist nicht nur ein schönes Kompliment an die Stadt – sondern auch eine Aufgabe für die Planungsabteilungen des Wiener Magistrats. Die große Herausforderung in den letzten zehn Jahren bestand v.a. darin, ausreichend leistbaren Wohnraum zu schaffen und mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten. Doch sorgfältige Planung bedeutet genauso, manche Flächen frei zu lassen oder entsiegelte Flächen neu zu nutzen. Ein Beispiel für einen öffentlich nutzbaren Freiraum ist der sogenannte Regionalpark DreiAnger. Gelegen im Nordosten Wiens, umfasst der DreiAnger Gebiete in Floridsdorf, der Donaustadt und in Gerasdorf. Doch wie ist es zu seiner Entstehung gekommen? Und wie plant man einen Freiraum? Landschaftsplanerin Christina Stockinger (Abteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung) hat die Antworten.
Was ist ein Regionalpark? Was macht den Regionalpark DreiAnger besonders?
Der „Regionalpark“ ist ein im deutschsprachigen Raum etabliertes Instrument der Regionalentwicklung, das der gemeindeübergreifenden Entwicklung von Grünraum dient. Im Vordergrund steht das Ziel, die Landschaft für die Erholung noch attraktiver zu gestalten. Im Gegensatz zu klassischen Schutzgebieten steht nicht der konservierende Naturschutzgedanke im Vordergrund, sondern die Idee eines aktiven Lebens- und Naherholungsraumes, in dem ein Neben- und Miteinander an unterschiedlichen Nutzungen, wie Land- und Forstwirtschaft, Jagd und naturnahe Erholung Platz finden und voneinander profitieren. Als räumlich festgelegter Kooperationsraum ermöglicht der Regionalpark, Grünraumfragen gemeinde- und länderübergreifend gezielt zu diskutieren und Grünraummaßnahmen gemeinschaftlich umzusetzen, was wiederum die Identität des stadtregionalen Landschaftsraums stärkt. Den Regionalpark DreiAnger zeichnet dabei sein ihm zugrundeliegendes vielfältiges landschaftliches Potential aus, seien es die zahlreichen Teiche in Süßenbrunn, die Blickbeziehungen in Gerasdorf oder die lichten Wäldchen des Rendezvousbergs.
In welcher Dienststelle arbeiten Sie und was war Ihre Aufgabe beim Regionalpark Dreianger? Haben Sie eine Lieblingspflanze oder Lieblingstier im Regionalpark?
Ich bin Landschaftsplanerin in der Abteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung (MA 18) und leitete den Planungsprozess zum Regionalpark DreiAnger. Der Regionalpark war das Wiener Pilotvorhaben in einem EU-Projekt, in dem die MA 18 Projektpartnerin war und das zum Ziel hatte, Werkzeuge zur langfristigen Sicherung von Landschaftsräumen in Stadtregionen zu entwickeln. Nach Abschluss des Planungsprozesses kümmerte ich mich um die ersten konkreten Umsetzungsschritte, wie ein Wanderwegeleitsystem, das die Orientierung im Regionalpark erleichtert. Durch diese relativ schnell realisierbaren Initiativmaßnahmen sollte die Umsetzung des Regionalparks angekurbelt und der Verlust an der Schnittstelle von Planung und Umsetzung bis zum Aufbau eines Regionalparkmanagements geringgehalten werden. Heute managt das Stadt-Umland-Management Wien/Niederösterreich (SUM) als langfristiger Ansprechpartner für Wien und Niederösterreich bzw. Wien und die Partnergemeinde Gerasdorf das Projekt.
Mein Lieblingstier im Regionalpark ist der „Bienenfresser“, ein farbenfroher Vogel, der in den Steilwänden des Marchfeldkanals nistet.
Wie war der Entstehungsprozess des Regionalparks?
Die Idee mit der Stadtgemeinde Gerasdorf beim Ausbau des Grüngürtels zu kooperieren, trug die damalige SUM-Managerin Renate Zuckerstätter-Semela, Vorgängerin von Kinga Hat, an die MA 18 heran. Im Rahmen des EU-Projekts wurde aus dem gemeinsamen Bestreben durch Zusammenarbeit von Politik, Stadtverwaltung, vor Ort agierender Stakeholder und Bürger*innen der eigentliche „Regionalpark“. Kennzeichnend für das gesamte Projekt war ein intensiver Stakeholderprozess, um die Ziele von Landwirtschaft, Jagd und Naturschutz mit den Anforderungen an einen stadtregionalen Erholungsraum in Einklang zu bringen.
Wir sprechen in der Planung oft ganz selbstverständlich von Grün- und Freiräumen. Doch: Was ist eigentlich ein Freiraum?
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter Freiraum eine unbebaute Fläche verstanden, die versiegelt, nicht versiegelt oder begrünt sein kann. Im Fall des Regionalpark DreiAnger ist der Freiraum als eine von Landwirtschaft und alten Schottergruben geprägte Kulturlandschaft erlebbar. Mit dem Begriff „Freiraum“ wird aber auch gerne das Überwinden von Grenzen assoziiert, was im Kontext des Regionalparks auch die Art der Zusammenarbeit beschreibt.
Was zeichnet einen guten Freiraum aus? Gibt es Kennwerte oder Kriterien, anhand derer ich einen guten Freiraum erkenne?
In einem guten Freiraum halte ich mich gerne länger auf. Klare Kriterien gibt es nicht, oft spielen verschiedene Faktoren zusammen. Fragt man Erholungssuchende, was denn ein gutes Erholungsgebiet auszeichnet, bekommt man oft die Antwort, dass es keinesfalls überlaufen sein sollte. Das beschreibt die Qualitätsvorstellung in Bezug auf die Räume recht gut, wobei hier oftmals eine Mischung von „Einsamkeit“ und einem Minimum an Erholungsinfrastruktur verstanden wird. Dahingehend sollte der Ausbau von Erholungsinfrastruktur stets bedacht erfolgen, um nicht ins Negative zu kippen. Natürlich ist auch entscheidend, was jede Einzelne bzw. jeder Einzelne unter einem attraktiven Landschaftsraum per se versteht. Manche lieben die endlose Weite, andere wieder die hügelige Landschaft.
Gibt es internationale Vorbilder, an denen man sich in den Wiener Planungsabteilungen orientiert?
Im Fall des Regionalpark DreiAnger haben wir uns in Deutschland Anregung geholt, wo das Modell der Regionalparks in mehreren Stadtregionen Anwendung findet. Im Gegensatz zu Deutschland, wo Regionalparks weitaus größer gedacht sind und mehrere Gemeinden umfassen, erfolgt die Zusammenarbeit beim Regionalpark DreiAnger mit nur einer Umlandgemeinde. Ansonsten findet man in vielen Ländern interessante Beispiele, obwohl international betrachtet, Wiener Lösungen selber als Best Practice in Sachen Grünraum gerne herangezogen werden.
Gibt es bessere und schlechtere Freiflächen? Ist ein Park ein besserer Freiraum als ein Friedhof?
Da ein Friedhof ein Ort des Gedenkens ist, sind, abgesehen vom beschränkten Platzangebot, nicht alle Freiraumnutzungen gleichermaßen gut umsetzbar. Dahingehend kann ein Friedhof nie einen vielseitig nutzbaren Park ersetzen, er kann aber hinsichtlich seiner Qualitäten und auch einzelner ergänzender Freiraumnutzungen aufgewertet werden und so das Freiraumangebot in der Stadt erweitern.
Wir sprechen oft von „Nutzungsdruck“. Was verbirgt sich hinter diesem Wort und mit welchen Anforderungen sehen sich die Planungsabteilungen beim Thema „Nutzungsdruck“ konfrontiert? Was ist die Lösung?
Nutzungsdruck macht sich oft an Konflikten vor Ort bemerkbar. Steigt das Besucheraufkommen steigt die Wahrscheinlichkeit für Konflikte mit anderen Nutzungen bzw. auch innerhalb der eigenen Nutzergruppe, das gilt für den Park ebenso wie für das Erholungsgebiet am Rande der Stadt. Steht ausreichend Fläche zur Verfügung, stellen sich Konflikte erst gar nicht ein. In einer wachsenden Stadt, in der immer mehr Ansprüche an ein und denselben Grünraum gestellt werden, ist das jedoch unrealistisch. Umso wichtiger ist es, Besucherströme gezielt zu lenken und Konflikte mit anderen Nutzungen im Vorfeld auf räumlicher Ebene aber auch mittels Instrumenten der Öffentlichkeitsarbeit zu minimieren. Der Regionalpark bietet den geordneten Rahmen dazu.
Wie sind die Freiflächen des Regionalparks vor einer Bebauung geschützt?
Der Landschaftsplan zum Regionalpark DreiAnger setzt Schwerpunkte in Bezug auf die räumliche Entwicklung des Grünraums mit Fokus auf Erholungsnutzung, den Naturschutz und die Landwirtschaft. Dahingehend definiert er auch ein „grünes“ Grundgerüst, das erhalten bzw. sukzessive weiterentwickelt werden soll. Mit seinen Zielsetzungen dient er der Flächenwidmung als Orientierung bei der Abwägung von Interessen im Rahmen des Widmungsprozesses.
Worauf sind Sie / bist Du beim DreiAnger besonders stolz?
Stolz bin ich, dass es mit dem Regionalpark DreiAnger gelungen ist, die projektorientierte Zusammenarbeit auf eine neue Bewusstseinsebene zu heben, die vorrangig den Landschaftsraum und nicht Gemeindegrenzen als Grundlage der Planung versteht.
Weitere Informationen zum Regionalpark DreiAnger finden Sie unter www.regionalpark.wien.at
Weitere Informationen zur Strategischen Landschaftsplanung finden Sie zudem hier.